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Volkswagen wird chinesisch

Für viele ist Volkswagen so deutsch wie Gartenzwerge. Doch ist Volkswagen überhaupt noch deutsch?

Volkswagen, der größte Automobilhersteller in Europa und der zweitgrößte der Welt, baut heute nur jedes fünfte Auto in der Bundesrepublik. Nur noch an 17 Prozent der Wagen, die beim Wolfsburger Konzern vom Band rollen, arbeiten deutsche Arbeitnehmer. Auch in ganz Europa sind mit 51 Prozent die Zahlen rückläufig. Nur in Asien und hier vor allem in China arbeiten mit 29 Prozent immer mehr Beschäftige dafür, dass VW weltweit 9,1 Millionen Fahrzeuge an Kunden verkaufen konnte. Dabei wurden allein in der Volksrepublik China über 2,8 Millionen Fahrzeuge verkauft. Damit ist das Reich der Mitte mit Abstand der wichtigste Einzelmarkt für die Volkswagen AG und seine Marken Audi, Bentley, Bugatti, Ducati, Lamborghini, MAN, Porsche, Scania, Seat, Škoda, Volkswagen und Volkswagen Nutzfahrzeuge.

Der Trend ist nicht aufzuhalten. Weltweit möchte Volkswagen 10 neue Werke aus dem Boden stampfen, um den zukünftigen Bedarf zu decken. Sieben davon wird der Konzern nach eigenen Angaben in China errichten. Nach Meinung von VW-Chef Martin Winterkorn entscheidet sich die Zukunft des Autobauers in China, Russland, Indien, Amerika und Südostasien. Das ist nicht verwunderlich, da vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern der Nachholbedarf an PKWs gigantisch ist. In Deutschland kommen auf 1.000 Einwohner 517 Autos. Das Reich der Mitte kommt gerade einmal auf 44 Fahrzeuge pro 1.000 Einwohner.

Volkswagen hat nach eigenen Angaben im Jahr 2011 konzernübergreifend 2.258.614 Fahrzeuge im Reich der Mitte abgesetzt. Davon entfielen 1.723.150 auf VW, 227.938 auf Audi, 180.515 auf Skoda, 901 auf Bentley, 247 auf Lamborghini und 283 auf die Sparte Volkswagen Nutzfahrzeuge.

Heute sind noch 410.000 der weltweit 550.000 Beschäftigten im Volkswagen-Konzern in Europa beschäftigt. Doch das Blatt wendet sich. In den kommenden 10, spätestens 15 Jahren werden die Stellen in Europa und Deutschland weiter zurückgehen. Vielleicht weniger in der Entwicklung, aber vor allem in der Produktion.

VW-Chef Martin Winterkorn machte eine Aussage, hinter der viel mehr steckt, als viele im ersten Augenblick erkennen können. "VW ist ein gutes Stück chinesischer, amerikanischer, russischer und brasilianischer geworden. Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen." Hierbei ist vor allem China ein Problem, welches sowohl von den Medien als auch von der Bevölkerung als solches nicht wahrgenommen wird oder wahrgenommen werden soll.

In Deutschland ist die Automobilindustrie mit mehr als 14 Prozent aller Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe einer der größten Arbeitgeber. Der Anteil der Automobilindustrie an der gesamten industriellen Wertschöpfung in Deutschland ist mit knapp acht Prozent im internationalen Vergleich mit industrialisierten Ländern außergewöhnlich hoch. 17,3 Prozent der deutschen Exporte entfallen auf die deutsche Automobilindustrie. Rund 190 Milliarden Euro betrug der Wert der Exporte der deutschen Autohersteller. Verlagert sich jedoch die Produktion mehr und mehr ins Ausland, verringern sich auch die Exporte. Schon heute importiert die Bundesrepublik Deutschland Autos im Wert von 84 Milliarden Euro pro Jahr. Verlagert sich die Produktion deutscher Fahrzeuge ins Ausland, werden auch die Importe ansteigen.

Noch kann Deutschland mit einem Exportüberschuss glänzen. Waren im Wert von 1.060,1 Milliarden Euro wurden von deutschen Unternehmen exportiert, wohingegen "nur" Waren im Wert von 902,0 Milliarden Euro importiert wurden. Mit einer steigenden Produktion deutscher Autos im Ausland, schwinden die Exporte und zur gleichen Zeit steigen die Importe, da die Gesamtzahl aller angemeldeten Autos seit Jahren ansteigt. Schon allein diese Tatsache kann nicht im Interesse Deutschlands sein. Deutsche Autoexporte sind schon heute "leicht" rückläufig.

Eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Comaq hat ergeben, dass schon heute 44 Prozent der Deutschen ein "chinesisches Auto" kaufen würden, wenn ein deutsches Management hinter dem chinesischen Konzern stehen würde. 2012 exportierten chinesische Automobilhersteller 1,1 Millionen Autos. 2015 sollen es nach den Plänen in Peking bereits 13 Millionen sein. Die Produktion soll, so der Wunsch der Regierung, von derzeit 19,5 Millionen Fahrzeugen auf 40 Millionen Fahrzeuge im Jahr 2015 gesteigert werden. Die Volkswagen AG könnte hierbei besonders hilfreich sein.

Viele Deutsche kaufen, sofern sie es sich leisten können, ein deutsches Auto. Die Qualität die sich die Käufer dieser Autos versprechen ist dabei nur ein Aspekt. Ein weiterer ist auch, die eigene Wirtschaft zu unterstützen. Werden jedoch vermehrt deutsche Autos im Ausland, und hier vor allem in China gefertigt, könnte der Qualitätsanspruch sicher gehalten werden, die Nachhaltigkeit in die deutsche Industrie jedoch nicht.

Wer im Reich der Mitte Autos herstellen möchte, kann dies nur über ein "Joint Venture". Unter dem Begriff Joint Venture versteht man eine gemeinsame Tochtergesellschaft von mindestens zwei rechtlich und wirtschaftlich getrennten Unternehmen. Im Falle der Volkswagen AG ist dies die "FAW-Volkswagen Automotive Co., Ltd.". Interessant hierbei ist die Unternehmensbeteiligung. 60 Prozent an diesem "Joint Venture" hält die "First Automotive Works Co., Ltd.". First Automotive Works (FAW) ist ein staatlicher Kraftfahrzeug– und Motorenhersteller in China. Um es einfach zu formulieren - "Volkswagen China" gehört nicht der Volkswagen AG in Wolfsburg, sondern dem chinesischen Staat. Nur 20 Prozent an diesem "Joint Venture" sind im Besitz der Volkswagen AG. 10 Prozent sind im Besitz der Audi AG und damit zumindest noch der Volkswagen-Gruppe voll zurechenbar. Die letzten 10 Prozent hält die "Volkswagen (China) Investment Co., Ltd.". Diese ist nach Angaben der Volkswagen AG zu 100 Prozent in deren Besitz. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Mehrheit der "FAW-Volkswagen Automotive Co., Ltd." in chinesischer Hand ist. Wer also einen Volkswagen "Made in China" kauft, kauft ein chinesisches und kein deutsches Auto. Auch bei den chinesischen "Volkswagen-Töchtern" wie der "Shanghai-Volkswagen Automotive Company Ltd." ist dies nicht anders.

China hat nicht nur einen monetären Vorteil durch die höhere Beteiligung an Volkswagen China. In vielen Industriezweigen sind im Reich der Mitte Unternehmen zu einem Technologietransfer gezwungen. Die Automobilbranche gehört dazu. Volkswagen ist daher wie alle deutschen Autobauer gezwungen, auch technologisches "Know-how" den Chinesen zur Verfügung zu stellen. Es verwundert daher nicht, dass auch der chinesische Partner "First Automotive Works" (FAW) mit dem Wachstum von Volkswagen in China stetig gewachsen ist. Nicht ohne Grund ist daher FAW heute größte chinesische Hersteller von Dieselmotoren, Pkw sowie mittleren bis schweren Bussen und Lkw. Nach Angaben der "China Association of Automobile Manufacturers (CAAM)" setzte FAW 2012 über 3,6 Millionen Fahrzeuge ab. Dabei sind die Fahrzeuge durch den Technologietransfer kein "China Schrott", wie es oft in den deutschen Medien genannt wird. Die Entwicklungskosten sind dabei für die chinesische Seite sehr gering, da technologische Errungenschaften ohne Industriespionage frei Haus geliefert werden.

Die Macht der chinesischen Regierung bekam Volkswagen erst kürzlich deutlich zu spüren. Der Volkswagenkonzern wurde durch die chinesische Qualitätsaufsichtsbehörde (AQSIQ) zu seiner bisher größten Rückrufaktion in China gezwungen. 384.000 Fahrzeuge mussten wegen Problemen mit dem Getriebe in die Werkstatt zurück. Volkswagen sieht die Rückrufaktion offiziell etwas anders. Angeblich sei dies "freiwillig" erfolgt. Volkswagen hatte jedoch keine andere Wahl, nachdem Chinas Staatsfernsehens CCTV und chinesische Tageszeitungen über die Getriebeprobleme und unzufriedene Kunden berichteten. Hätte Volkswagen nicht regiert, hätte dies zu einem immensen Imageverlust geführt. Öffentlich war dabei nie vom chinesischen Partner FAW die Rede. Nur der deutsche Autobauer Volkswagen wurde in den Medien genannt, obwohl selbstverständlich jedem Chinesen klar ist, dass Volkswagen in China wie eine Marionette an den Fäden der chinesischen Regierung hängt. Wiederstand ist jedoch zwecklos. Gerät ein Hersteller oder dessen Herkunftsland in die öffentliche Kritik, ist der Absatz gefährdet. Dies wurde der Welt im vergangenen Jahr Am Beispiel der japanischen Automobilhersteller unmissverständlich gezeigt. Angestachelt durch den Inselstreit um die "Diaoyu-Inseln" sackte der Absatz japanische Autos derartig drastisch ab, dass die Werke der japanischen Hersteller in China sogar vorübergehend stillgelegt werden mussten.

Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass die Volksrepublik China auch ohne den Kauf von Aktien der Volkswagen AG einen massiven Einfluss auf das operative Geschäft dieser nehmen kann. Mit einem weiteren Ausbau im Reich der Mitte und einem gleichzeitigen Abbau der Produktion in Deutschland und Europa steigt auch die Abhängigkeit von der Gunst der politischen Führung in Peking. VW-Chef Martin Winterkorn hat also damit mit seiner Aussage vollkommen recht. VW ist ein gutes Stück chinesischer geworden.

Veröffentlicht in:

Unterricht Wirtschaft + Politik
Friedrich Verlag
4. Quartal 2014 | 4. Jahrgang
ISSN 2191-6624, Best.-Nr.: 544016

Quellenverzeichnis: